
Voller Musik ist die Zeit des Advents, voller Gesang.
In diesem Jahr scheint es anders und stiller zu werden, im Advent. Denn die Weihnachtsmärkte sind abgesagt, große geplante Weihnachtskonzerte finden aufgrund der Eindämmung der Corona-Pandemie nicht statt.
Warum denke ich am ersten Advent an die Musik und an das Singen im Advent, wenn gerade jetzt in den Kirchen ein voller Gemeindegesang nicht stattfinden darf.
Vielleicht tue ich das, weil es mir so sehr fehlt und weil mir die Bedeutung von Musik im Advent neu bewusst wird.
Mir fällt auf, dass die Zeit des Advents von Musik geprägt ist. Im klassischen Radiosender gibt es Weihnachtskonzerte zu hören, im Popbereich kommen neue Weihnachtshits in die Charts.
Was bringt die Menschen dazu, Musik in den Dezembertagen so großzuschreiben?
Advent ist eine Zeit der Erwartung. Wir erwarten Gottes Kommen in unsere Welt, wir erwarten große Taten von unserem Gott. Wir erwarten so Großes von Gott, dass wir es mit Worten nur schwer ausdrücken können. Musik dagegen kann unsere Erwartungen, Hoffnungen und Sehnsüchte auf ganz andere, tiefere Weise ausdrücken.
Musik kann Freude ausdrücken, ja regelrechten Jubel. Es gibt wohl kaum eine schönere Verkündigung der Weihnachtsfreude als das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach, wenn wir hören »Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage!«
Genauso kann Musik auch Klage und Schmerz und Sehnsucht ausdrücken. »O Heiland, reiß die Himmel auf« (EG 7) so lautet ein altes Kirchenlied. Es ist ein Aufschrei gegen Leid und Schmerz und Unrecht in unserer Welt. Und mit welcher tiefen Sehnsucht haben Menschen zu allen Zeiten gesungen: »Dona nobis pacem«, Gott, gib uns Frieden, gib uns endlich Frieden!
»Ich singe gegen die Angst.« So heißt die Geschichte über einen Jugendlichen, der jeden Abend auf seiner Gitarre spielt und all seine Ängste um die Lehrstelle, die Freundin, die kranke Mutter, den trinkenden Vater heraussingt, ja herausschreit. (Jo Pestum, Ich singe gegen die Angst. In: Ich singe gegen die Angst. Neue Texte für junge Leute. Hg. Jo Pestum. Würzburg 1980, 119–121)
Ich singe gegen die Angst. Ich singe gegen die Traurigkeit. Ein Video, dass mir ein Freund am Ewigkeitssonntag mit den Blick auf die Weihnachtstage schickte, trägt im Original den Titel »The Sweetest Gift« – »Das schönste Geschenk« (gesungen von Craig Aven) und es gilt denen: »If You´re Missing Someone This Christmas …« (wenn du jemanden an Weihnachten vermisst). Das Lied besingt in Trauer den Verlust eines lieben Menschen, den Schmerz, der gerade in der Weihnachtszeit aufbricht. In der Melodie und in dem Text ist die Hoffnung gesetzt, dass das größte Geschenk an Weihnachten darin liegt, dass alle Verstorbenen in Gottes Frieden, in Gottes Liebe aufgehoben sind. »Obwohl ich ein gebrochenes Herz habe, es gibt mir Hoffnung, wenn ich daran denke, wo du bist: Du bist mit dem Sohn Gottes, du bist bei dem Friedefürsten, du bist bei dem, der feiert.«
So möchte ansingen gegen die Angst und gegen den Tod und vom Leben singen und vom lebendigen Gott, der den Tod überwunden hat. Ich summe in Gedanken das Lied zu Hause mit. Ich spüre erlebte Trauer, aber auch die starke Hoffnung, die mein Leben trägt.
Mich beeindruckt die Geschichte einer Frau, die bereits kurz nach dem Krieg mit Mitte 30 ihren Mann verlor. Sie ging danach oft zu seinem Grab. Nachdem sie ein bisschen geweint hatte, sagte sie sich: »Was soll ich nur weinen? Ich will lieber meinem Mann auch etwas singen.« Und sie stellte sich an sein Grab und sang laut: alte Lieder, die sie und ihr Mann gemeinsam geliebt und zu denen sie getanzt hatten.
Was gibt dieser Frau die Kraft, im Angesicht des Todes zu singen?
»Dona nobis pacem«, Herr, gib uns Frieden. Das haben die Menschen 1989 in der DDR gesungen, als sie sich in den Kirchen zu Friedensgebeten versammelten, um dann hinauszugehen auf die Straßen, um für mehr Demokratie und Gerechtigkeit zu demonstrieren. Sie wussten: Draußen steht die Polizei, da werden Waffen auf uns gerichtet.
»Auf alles waren wir gefasst, aber nicht auf Kerzen und Gebete.« So drückten es die damaligen Machthaber später aus. Die Kerzen, Gebete und der Gesang waren größer als alle politische und militärische Macht.
Wir Christen erwarten noch etwas. Das drücken unsere Adventslieder aus. Wir erwarten, dass unsere Welt nicht so bleibt, wie sie ist, dass Gottes Frieden in unserer Welt Raum gewinnt. Wir erwarten, dass das Lied der Engel auf der ganzen Welt Wirklichkeit wird: »Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.« Und das erwarten wir nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über. Deshalb ist dieser Gesang der Engel in sonntägliche Gottesdienste aufgenommen worden »Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.« (EG 179,1) Wir singen es gegen allen Unfrieden in unserer Welt, gegen alle Erfahrungen von Gewalt und Ungerechtigkeit. Wir singen uns damit Mut zu für unser Engagement. Gottes Frieden soll Raum finden hier und heute.
Wenn nun in der Corona-Pandemie der gemeinsame Gesang nicht möglich ist, so ist es doch möglich, dass im Hören von Adventsliedern, durch eine gemeinsame Chorprobe über Video, durch mein gesummtes Weihnachtslied zu Hause, das Geschenk in meiner Seele Raum gewinnt: Ich habe Hoffnung auf andere, bessere Tage; ich glaube an Frieden.
Wir brauchen in unseren Weihnachtsliedern das Schwere nicht auszuklammern. Gott kommt als Kind in der Krippe zur Welt, mitten in unsere ganz und gar nicht heile Welt. Er wird klein wie ein Kind und trägt durch sein Menschsein unsere Lasten mit.
Gerade deshalb legen die Advents- und Weihnachtslieder Frieden auf meine Seele.
Ihnen und Euch wünsche ich von Herzen einen gesegneten ersten Advent.
Pfarrerin Heike Mause