Das Leben bricht sich wieder Bahn
rueckert-friedrich
Bilder: de.wikipedia.org; Stadtkirchengemeinde Hanau

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Werner Kahldieser Tag Mitte Februar, an dem ich dieses Grußwort für unseren Gemeindebrief schreibe, passt so gar nicht in die allgemeine Stimmungslage. Eigentlich bin ich nach wie vor tief betrübt und besorgt angesichts des anhaltenden Kriegs in der Ukraine. Und dann diese Nachrichten von dem schrecklichen Erdbeben im Süden der Türkei, im Norden Syriens mit zehntausenden Toten. Mit Menschen in all diesen Regionen sind wir verbunden: zum einen über kirchliche Partnerschaften mit Gemeinden und Kirchen in der Ukraine und in Syrien; zum anderen über unsere persönlichen Kontakte zu Mitbürgern, die betroffene Familien in der Türkei haben. Das Leiden in der Ferne rückt uns nahe, weil es über Begegnungen persönlich greifbar wird. Und für uns als Christen, die wir von Jesus angerührt sind, ist es selbstverständlich, dass wir für die Leidenden beten, sie trösten und sie materiell unterstützen.

Mitten in diesen Dunkelheiten des Weltgeschehens will dieser strahlend klare Sonnentag nicht so recht ins Bild passen. Oder passt er – wenn wir an die Kreuzigung Jesu denken und die Auferweckung Jesu von den Toten – gerade ins Bild?

Als ob die Welt im Grunde in Ordnung wäre: Im Garten des Pfarrhauses hier in der Rückertstraße (Bild unten) springen zwei Eichhörnchen aufgeregt umeinander herum. Ob die wohl voller Lebenslust herumtollen und miteinander spielen? Das weiß ich nicht. Aber so sieht es für mich aus. Und ich merke, wie mich diese Lebendigkeit ansteckt, wie ich mich nach ihr sehne.

Überhaupt die Rückertstraße bzw. der über die Kinzig führende Rückertsteg: Benannt nach Friedrich Rückert (1788-1866, Bild oben), der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Sprachenforscher lehrte und als Dichter unzählige Werke aus Indien, aus Arabien und aus Persien poetisch übersetzte, darunter übrigens auch den Koran in Reimform.

Rückert brütete Jahr für Jahr in der dunklen Jahreszeit über seinen Büchern und über entfernte alte Sprachen, aber im Frühling trieb es ihn nach draußen und er überließ sich den Eindrücken in der aufbrechenden Natur – und schrieb Gedichte über Gedichte.

»Von deinen Kindern lernst du mehr als sie von dir:
Sie lernen eine Welt von dir, die nicht mehr ist,
Du lernst von ihnen eine, die nun wird und gilt.«
(Friedrich Rückert)

Rückert blickt hier nach vorne. Er weiß, das Leben bricht sich weiter Bahn, oft ungeplant und manchmal irritierend. Darauf lässt er sich ein.

Veränderungsbereitschaft oder doch Offenheit für Veränderungen, Zutrauen in Neuaufbrüche und die sich formenden Fähigkeiten von denen, die nachwachsen – das sind Haltungen, denen ich auch in unserer Stadtkirchengemeinde begegne, und das ist wunderbar.

Mit herzlichem Gruß von der Rückertstraße

Ihr und Euer

Pfarrer Dr. Werner Kahl

20.02.2023 - 15.38 Uhr
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